Podiumsdiskussion mit Dr. Michael de Ridder, Wolfgang Putz und dem Ehepaar Dr. Nikolaus und Anne Schneider am 14.11.2021

Das Recht auf Sterben – mit Hilfe anderer?

Mit seinem Urteil vom 26.2.2020 hat das Bundesverfassungsgericht den seit 2015 bestehenden Paragrafen 217 Strafgesetzbuch abgeschafft, der die ärztliche Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt hatte. Das Gericht hat entschieden:

Jeder Mensch hat das Recht, seinem Leben ein Ende zu setzen und dabei die Hilfe anderer in Anspruch zu nehmen. Dieses Recht ist nicht auf schwere, unheilbare Krankheiten beschränkt. Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen bilden das argumentative Fundament des Urteils. Verwiesen wird auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Einzelnen (Grundgesetz Art. 2, Abs. 1), das das Recht auf selbstbestimmtes Sterben einschließt.

Sterbehilfevereine begrüßen das Urteil, die Kirchen lehnen es ab. Sterbewillige sollen neue Rechte haben, Angehörige und Pflegepersonal sind verunsichert. Auch Ärzte, deren Berufsethos es ist, Leben zu bewahren, stehen vor Herausforderungen. Eine eindeutige rechtliche Klärung der Umsetzung des Gesetzes steht noch aus.

Dies ist der Hintergrund für die am 14.11.2021 stattgefundene Podiumsdiskussion im Hotel „Leib und Seele" am Gesundheitszentrum Walstedde. Im - nach Maßgabe der aktuellen Corona-Verordnung - mit 100 Teilnehmern voll besetzten Konferenzraum begann die Veranstaltung mit einer musikalischen Einstimmung am Klavier durch Simon Wiesrecker. Für die Akademie Gegenwart stellte Dagmar Spelsberg-Sühling als Organisatorin der Veranstaltung die Referenten vor:

Dr. Michael de Ridder: Internist, Sterbegleiter, Mitbegründer des Hospizvereines Vivantes in Berlin. Autor mehrerer Bücher zur Sterbekultur, u.a.: „Abschied vom Leben – Von der Patientenverfügung zur Palliativmedizin" (2017); „Wer sterben will, muss sterben dürfen" (2021).

Wolfgang Putz, Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinethik an der LMU München, Sachverständiger von Ethikkommissionen, (so z.B. der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages). Autor mehrerer Publikationen zum Medizinrecht, u.a. „Patientenverfügung nach Vorgaben des BGH: Der komplizierte Wunsch zu sterben" (2018) und „Patientenrechte am Ende des Lebens" (7. Auflage 2020).

Dr. Nikolaus Schneider, ev. Theologe, Pfarrer, Präses der Ev. Kirche im Rheinland 2003–2013, Ratsvorsitzender der EKD 2010–2014, Autor zahlreicher Publikationen, u.a. mit Hermann Gröhe im Gespräch mit Evelyn Finger „Und wenn ich nicht mehr leben möchte? Sterbehilfe in Deutschland" (2015)

Anne Schneider, Ehefrau von Dr. Nikolaus Schneider. Aus ihren kontrastreichen Diskussionen mit ihrem Mann zur Inanspruchnahme von Sterbehilfe entstand das Buch „Vom Leben zum Sterben. Ein Ehepaar diskutiert über Sterbehilfe, Tod und Ewigkeit" (2019).

Dr. Michael de Ridder, der gemeinsam mit Rechtsanwalt Wolfgang Putz und anderen erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht für die Abschaffung des §217 gekämpft hat, erklärte als erster der Referenten seine Position, die sich im Titel seines zuletzt erschienen Buches widerspiegelt: „Wer sterben will, muss sterben dürfen." Der §217 habe ärztliche Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt, was für ihn in der Begleitung Sterbewilliger eine unerträgliche Situation dargestellt habe. Die Mehrheit der ärztlichen Kollegen lehne nach seiner Beobachtung Gesprächswünsche von sterbewilligen Patienten ab, habe ethische Vorbehalte oder Sorgen, mit dem Berufsrecht oder gar Strafrecht in Konflikt zu geraten. Häufig verweise man sterbewillige Patient*innen an die Psychiatrie. In dieser Situation wenden sich Viele an Sterbehilfe-Vereine.

Er selbst sehe sich als Arzt dem Patientenwohl und dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten verbunden. Lebensverlängerung durch die Möglichkeiten moderner Intensivmedizin bedeuteten in vielen Fällen nur Leidensverlängerung und Sterbeverzögerung und seien manchmal „unmenschlich". Überleben könne kein Selbstzweck sein! Wichtig sei, die Würde der Patienten zu respektieren. Das neue Urteil bedeute, dass die Selbstbestimmung dem Leben übergeordnet wird.

Als Voraussetzung für die Beihilfe zum Suizid nannte er die Notwendigkeit, sich als Arzt davon zu überzeugen, dass der Todeswunsch nachhaltig besteht. Letzte Instanz müsse das ärztliche Gewissen sein, eine „demokratische Entscheidung" über die Suizidbeihilfe sei abzulehnen.
Suizidbeihilfe könne nach seiner Einschätzung ärztliche Aufgabe werden, wenn folgende Bedingungen gegeben sind:

  • frei verantwortete Entscheidung des Patienten
  • volle Aufklärung über alle Möglichkeiten der Leidens- und Symptomlinderung
  • beste medizinische Versorgung.

Wenn danach dennoch der Sterbewunsch weiter aufrechterhalten wird, dürfe ärztliche Suizidbeihilfe den Patient*innen nicht verwehrt werden. Andererseits könne auch kein Arzt verpflichtet werden zur Suizidbeihilfe, Jede*r bleibe seinem Gewissen verpflichtet.

Rechtsanwalt Wolfgang Putz erläuterte das Thema aus juristischer Sicht. Er sei stolz, dazu beigetragen zu haben, dass das Bundesverfassungsgericht als höchste deutsche Instanz erstmals eine frühere eigene Entscheidung „voll gekippt" hat, nämlich den §217, der von 2015 – 2020 galt. §217 ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Durch diese Entscheidung wurde die vorherige Rechtslage (von 1871 – 2015) wiederhergestellt. Nichts wurde neuerlich legalisiert oder liberalisiert.

Er machte deutlich, dass die freie Verantwortlichkeit des Suizid-willigen entscheidend sei. Kriterien für die Freiverantwortlichkeit sind laut Bundesverfassungsgericht: Freiheit von Krankheit, von Nötigung, von Druck.
Der Wille des Menschen sei ein Grundrecht und schließe das Recht, sein Leben selbst zu verkürzen mit ein. Der Staat schulde den Bürgern, dass dieses Grundrecht auch ausgeübt werden kann, dass sie nicht darauf angewiesen seien, dafür ins Ausland zu gehen oder sich vor einen Zug zu werfen. Wenn Menschen nicht zu freier Entscheidung in der Lage sind, z.B. durch psychische Erkrankung, muss der Staat hingegen Lebensschutz/ Hilfe zum Leben ermöglichen.

Am Lebensende können sich medizinische Maßnahmen zur Linderung von Symptomen (z. B. Schmerzmedikation) lebensverkürzend auswirken. Dies ist jedenfalls erlaubt, da die Ärztin den Patienten nicht leiden lassen sollte. Gegen den Willen der Patientin ist eine medizinische Weiterbehandlung strafbar. Der Bitte um eine „Todesspritze" nachzukommen, also die Tötung auf Verlangen, ist in Deutschland weiterhin verboten, aber der Patient darf es selbst tun, mit Unterstützung des Arztes. Die letzte Handlung muss laut Gesetz vom Suizid-willigen selbst erfolgen. Das „Sterbefasten", der selbstbestimmte Verzicht auf Essen und Trinken, sei auch ein Akt der Selbsttötung und für Arzt und Angehörige straffrei, dessen Duldung wird also nicht als unterlassene Hilfeleistung gewertet. Wenn der Patient nicht frei- willensfähig ist, wird hingegen Beihilfe oder Zulassen von Suizid mit hohen Freiheitsstrafen wegen Tötung belegt.

Abschließend erklärt Putz, dass weiterer gesetzlicher Regelungsbedarf erforderlich ist, damit der Staat seinen beiden Pflichten Genüge tun kann, nämlich einerseits dem Schutz der Autonomie von frei-verantwortlichen Menschen und andererseits Verhinderung oder Minimierung der Gefahren für nicht frei-entscheidungsfähige Menschen.

Dr. Nikolaus Schneider beleuchtete das Thema Sterbehilfe aus theologischer Perspektive. Er vertrat die Position der Kirchen, „dass Gott allein die absolute Macht über das Leben und Sterben eines Menschen gebührt. Dem Menschen steht es nach dem Gebot Gottes grundsätzlich nicht zu, sein Leben selbst zu beenden. Theologie und Kirchen sollen sich deshalb für ‚Hilfe beim Sterben' statt für ‚Hilfe zum Sterben' einsetzen. Für unseren Staat muss die lebensschützende Funktion gesetzlicher Regelungen die oberste Priorität haben."

Während in der Bibel keine explizite Verurteilung der Selbsttötung zu finden sei und in der frühen Kirche Schmerzen und unheilbare Krankheit, unerträgliche Leiden oder drohende Entehrung als Motive für Selbsttötung beschrieben wurden, hat Augustin (354-430) das Gebot „Du sollst nicht töten" auch auf die Selbsttötung ausgeweitet. Von der Kirche wurde Selbsttötung danach als „Todsünde" betrachtet und zog das „Verbot der Bestattung in heiliger Erde" nach sich. Auch die Reformatoren lehnten Selbsttötung dogmatisch ab, jedoch sprach sich Martin Luther im Rahmen der Seelsorge für ein Verständnis für „Anfechtungen" anstelle von Verurteilung aus. Bis ins 20. Jhdt. ist die dogmatische Position der Kirchen so geblieben. Dietrich Bonhoeffer hat im Kontext des 3. Reiches die Selbsttötung um anderer willen bejaht, den Selbstmord, bei dem es dem Suizidenten allein um sich selbst geht, aber abgelehnt. Er plädiert jedoch für die Betrachtung des Einzelfalls.

Der „Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland" gemeinsam mit der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz hat sich zuletzt sogar auf folgende Position einigen können:

Man wird „...nicht die Augen verschließen dürfen davor, dass es verzweifelte Situationen und Lebenslagen gibt, die ein Außenstehender nicht ermessen kann. Auch wenn der unbedingt nötige Ausbau der Palliativmedizin vorangetrieben wird, können solche verzweifelten Lebenssituationen, in denen ein Mensch nur noch seinem Leben ein Ende machen möchte, nicht ausgeschlossen werden. Ein Urteil darüber steht niemandem zu."

In seinem Fazit distanziert sich Schneider von der augustinischen Position. Er spreche nicht mehr von „Selbstmord", sondern grundsätzlich von „Selbsttötung". Der Respekt vor und das Mitfühlen mit dem Suizidenten müssten unsere Haltung bestimmen.

In der Position, dass Leid als „persönlichkeitsbildend" beschrieben werde, sehe er die Gefahr von Zynismus.
Es bleibe aber unbedingt unverzichtbar, Selbsttötung als „Extremsituation" und „Grenzfall" zu denken. Er befürchte, dass wenn Selbsttötung und Hilfe zur Selbsttötung zur Normalität werden, „wir dann Türen öffnen dazu, das Leben unter bestimmten Umständen für sich und für andere als nicht mehr lebenswert zu qualifizieren."

Ihm gehe es auch um die Gestaltung der Sterbehilfe, um ein ‚würdiges Sterben' .

Bei der Gestaltung der Sterbebegleitung sei menschliche, seelsorgende Begleitung mit ausreichend Zeit nötig, medizinische Schmerzlinderung und Hilfe beim Sterben wichtig sowie gute Pflege mit Zeit und Aufmerksamkeit, damit Sterbende ihre letzte Lebensphase annehmen und mitgestalten können. An Ärzte appelliert er, nicht alles zu tun, was medizinisch möglich sei. Die Qualität der letzten Zeit sei wichtiger als die Quantität und der Wille des Sterbenden müsse jedenfalls berücksichtigt werden. Er plädierte für den Ausbau und die weitere Qualifizierung der Palliativmedizin hin zu einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung: ein ausreichendes Hospiznetz und Angebot ambulanter Hospizdienste - „solche Ethik muss auch etwas kosten dürfen!"

Schneider spricht sich nachdrücklich dafür aus, dass gewerbsmäßige, also gewinnorientierte Suizidbeihilfe unter Strafe zu stellen sei. Die Hilfe beim Suizid gehöre in den Raum des persönlichen Vertrauens zwischen Sterbenden und Helfenden.

Schließlich meint er, dass nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung Einrichtungen von Kirche und Diakonie (Alten- und Pflegeheime in kirchlicher Trägerschaft) innerhalb des staatlich finanzierten Versorgungssystems zukünftig legale Formen des ärztlich assistierten Suizids nicht grundsätzlich ausschließen dürften.

Anne Schneider, Ehefrau von Dr. Nikolaus Schneider, die ebenfalls Theologie studiert hat, vertritt eine andere Position als ihr Mann: Theologie und Kirchen sollten die dem Menschen in der Bibel zugesagte „Gott-Ebenbildlichkeit" ernstnehmen und achten.

Dem Menschen stehe es daher grundsätzlich zu, seine eigene Sterbephase in Verantwortung vor Gott und Mitmenschen aktiv zu verkürzen. Sie plädiert für eine Akzeptanz von Vielstimmigkeit und Widersprüchlichkeit möglicher Positionen zur Sterbehilfe anstelle von dogmatischen Positionen, auch in kirchlichen Einrichtungen.

„Über Gott und sein lebendiges Wort für unser konkretes Leben können und müssen Menschen immer neu reflektieren, diskutieren und auch streiten". Denn alle biblischen Texte, alle bezeugten Gotteserfahrungen seien untrennbare Mischungen von Gottes-Geist und Menschen-Geist. So sei die Kirche geprägt von Männergeist (nicht Frauengeist).

Sie betont die „Freiheit des Christenmenschen", selber zu denken und zu entscheiden.

Das Bekenntnis des Apostels Paulus „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, ..., uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist." (Römer 8, 38f) trage ihre Einstellung zu Leben und Sterben und zur Sterbehilfe. Auch der Tod ihrer 22 jährigen Tochter an Leukämie habe sie maßgeblich in ihrer Einstellung beeinflusst. Sie sei überzeugt: Auch eine selbstbestimmte Rückgabe des irdischen Lebens an Gott kann nicht von der Liebe Gottes trennen.

Die offene Theodizee-Frage – also die offene Frage, wie Gottes Menschenliebe und Gottes Allmacht zusammengehen angesichts des qualvollen und vorzeitigen Sterbens auf dieser Erde - habe sie zur Erkenntnis geführt, dass göttliches Handeln unauflösbar an das Handeln von Menschen gebunden sei. Menschliche Eigenverantwortung und Autonomiebestrebungen ständen Gottes Plan nicht grundsätzlich entgegen. Sie glaube nicht, dass Gott unser Leben und den Zeitpunkt unseres Sterbens schon vor unserer Geburt festgeschrieben hat.

Kurt Martis Gedichtzeile: „ich sterbe nicht, ich werde gestorben..." , die die für viele Menschen schreckliche Vorstellung beschreibt, das eigene Sterben nicht in der Hand zu haben, hilflos ausgeliefert zu sein an andere Menschen und an gefühllose Maschinen, führt Frau Schneider zu dem Ausruf: „Ich will nicht gestorben werden!"

Für viele Menschen kratze diese Vorstellung an ihrer Menschenwürde.

„Ich verstehe meine mir in der Bibel zugesagte Gott-Ebenbildlichkeit als einen Ruf zu aktivem Entscheiden und Handeln. Zu Selbstbestimmung, Freiheit und Verantwortung – gerade auch im Blick auf die Gestaltung und auch auf eine mögliche Verkürzung meines Sterbeprozesses."

Trotz bleibender Kontroversen über die theologische Bewertung der Selbsttötung und über aktuelle politische Regelungen zum assistierten Suizid sei sie sich mit ihrem Mann Nikolaus in einem existenziell wichtigen Punkt einig, nämlich „dass wir in Gott eine Zukunft über den Tod hinaus haben. Und die beste Sterbehilfe, die wir Menschen einander geben können, ist ein respektvolles Vertrauen zueinander und Zeit füreinander."

Mit dem Begriff „Todsünde" und mit normativen Setzungen habe christliche Theologie und Kirche einige Jahrhunderte lang Menschen Furcht eingejagt, anstelle von Ehrfurcht vor Gott. Und untertänigen Glaubens-Gehorsam statt eines selbstbewussten Gott-Vertrauens. Theologie und Kirchen sollten vielmehr Menschen ermutigen, nach konkreter Wahrheit für ihre je konkrete Lebens- und Sterbeerfahrung zu suchen.

Die Sehnsucht vieler Menschen nach Eindeutigkeit, nach widerspruchsfreien Normen und absoluten Wahrheiten für all die ethischen Fragen, können und sollten die Kirchen ihrer Ansicht nach nicht erfüllen: Der Besitz von eindeutigen absoluten Wahrheiten gehöre nicht zu dem uns vom Schöpfer-Gott zugedachten menschlichen Maß.

Es sei „Menschenschicksal", mit Mehrdeutigkeit, Widersprüchlichkeit, Vagheit und Unentscheidbarkeit – also mit Ambiguität – zu leben". Dies sei schwierig, da Menschen Ambiguität tendenziell vermeiden wollen. Menschliche Ambiguitätsintoleranz führe jedoch – auch in Religionen und Kirchen – zu Gleichgültigkeit oder zu Fundamentalismus. Folge seien dann aggressive oder sogar zerstörerische Ausgrenzungen und Spaltungen in unserer Gesellschaft.

Eine plurale demokratische Gesellschaft brauche die Fähigkeit zu Ambiguitätstoleranz. Und das JA zu einer pluralen demokratischen Gesellschaft solle selbstverständlich auch für Theologie und Kirchen gelten!
Die Vorstellung, Gottes absolute Wahrheit erkannt zu haben, sei Illusion. Kirchliches Reden und Handeln ohne Ambiguitätstoleranz förderten Obrigkeitsgehorsam und Doppelmoral.

Gutes Leben und gutes Sterben in unserer pluralen demokratischen Gesellschaft brauche eine Theologie und eine Kirche mit dem Mut zum Diskurs und der Bejahung von Vielfalt und Vielstimmigkeit. -

Die Ausführungen von Frau Schneider lösten großen Beifall aus. Anschließend folgte eine rege Diskussion mit zahlreichen Anfragen aus dem Publikum, die im Anschluss an die Veranstaltung bei einem kleinen Imbiss noch weiter fortgesetzt wurde.

Unter anderem wurde festgestellt, dass Suizidwünsche selten eindeutig sind, sondern häufig ambivalent: Für unterstützten Suizid muss im Gespräch geklärt werden, ob die Betroffenen sich zu Eindeutigkeit, Nachhaltigkeit und Konsistenz des Suizidwunsches entschließen können.

Die Einschätzung des Arztes ist immer notwendigerweise subjektiv und damit auch risikobehaftet. Außerdem komme es sehr auf Mitmenschlichkeit und Empathiefähigkeit des Arztes an und dass ausreichend (finanzierte!) Zeit für die Beratung durch Ärzte zur Verfügung stehe. Eventuell ist zur Klärung der Eindeutigkeit von Suizidwünschen auch die Hinzuziehung psychotherapeutisch geschulter Beratung sinnvoll.

Aus dem Publikum erfolgte der Hinweis, dass in den Niederlanden trotz deutlich liberalerer Gesetzeslage als in Deutschland dennoch kein Anstieg der Suizidraten zu verzeichnen sei.

Herr Putz betonte nochmals, dass es juristisch betrachtet keine Reichweiten-beschränkung des Gesetzes gebe: Keine Mehrheitsentscheidung darüber, wie alt, wie krank oder wie todesnah Betroffene sein müssen, damit sie in den Genuss assistierten Suizids kommen können.

Frau Schneider gab den Hinweis, dass nirgends in der Bibel ein Gebot zu finden sei, das die Menschen zu Leben "bis zum Sankt Nimmerleinstag" verpflichten würde.

Rita Linnenbank


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