Vortrag von Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer am 03.09.2025

„Einsamkeit – die unerkannte Krankheit" – ein Weckruf

Von Angelika Knöpker

Walstedde. Wie definiert man Einsamkeit? Und wer ist besonders betroffen? Was kann man dagegen tun? Antworten auf diese Fragen gab am Mittwochabend auf Einladung der „Akademie Gegenwart" Professor Dr. Dr. Manfred Spitzer, bis vor einem halben Jahr Direktor der Psychiatrischen Uniklinik Ulm und Buchautor. Seine zweimalige Gastprofessur an der berühmten Harvard-Universität in den USA brachte ihm neueste Erkenntnisse der Forschung, die er dem Publikum im Hotel „Leib & Seele" im Rahmen seines viel beachteten Vortrags vorstellte. Dabei gelang es ihm wie beim letzten Besuch in Walstedde, komplexe Zusammenhänge verständlich zu erklären. Auch für Fragen nahm er sich in der anschließenden regen Diskussion viel Zeit.

Einsamkeit, so sein Credo, kann jeden treffen, jung und alt, Mann und Frau, arm und reich. Wer einsam ist, erkrankt häufiger als andere an Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall ,Depressionen und Demenz. „Die am häufigsten betroffene Personengruppe sind junge Frauen im Alter von 19 Jahren", machte er deutlich. Das liege daran, dass sie sich in einer Lebensphase befinden, in der sie sich selbst finden müssen, nach Antworten auf den Sinn des Lebens suchen und allerlei Einflüssen wie Schönheitswahn oder „Sozial Media" ausgesetzt sind", fand er eine plausible Erklärung. Einsamkeit könne auch jemanden treffen, der in einer Menschenmenge badet.

„Einsamkeit verursacht Schmerzen, ist ansteckend und tödlich", machte er deutlich und belegte diese Aussage mit fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Soziale Isolation sei nicht gleichzusetzen mit Einsamkeit, führe aber in die Depression. Das sei besonders dann der Fall, wenn gegen den Schmerz-oft auch Phantomschmerz- mit Schmerztabletten reagiert würde, die das Schmerzzentrum im Gehirn beeinflussen. Ein enger sozialer Partner reduziere den Schmerz. So sei es hilfreich, ein Bild der Familie oder des Lebensgefährten in schwierigen Situationen vor Augen zu haben.

Wichtig seien stabile Beziehungen. „Wer hat wenigstens drei Freunde, die er nachts um 3 Uhr wecken und bei ihnen übernachten kann", fragte Dr. Spitzer in die Runde. Stabile Beziehungen wirkten Bluthochdruck und anderen Krankheiten entgegen. Stress könne im Notfall zwar lebensrettend sein, dauerhafter Stress führe aber zu Diab etes, Hypertonie und ende vielfach tödlich.

Vor dem Hintergrund, dass immer mehr „Ich" statt „Wir" in der publizierten Literatur zum Tragen kommt, nimmt die Selbstbezogenheit der Menschen zu, es gibt weniger Empathie. Als Beispiel nannte er das vor einigen Jahren durch die Medien veröffentlichte Foto eines älteren Mannes, der bewusstlos vor einem Geldautomat lag und erst vom vierten Bankkunden beachtet wurde.

Was hilft gegen Einsamkeit? Raus in die Natur, Sport treiben, Musik hören, Kunst- und Theaterveranstaltungen besuchen und ehrenamtliches Engagement, nannte er einige Beispiele. Mit Blick auf die Corona-Zeit stellte der Professor fest: „Die Maßnahmen der Isolation haben insbesondere den Kindern sehr geschadet". Mit einem westfälischen Präsent bedankte sich Professor Dr. Dr. Weglage als Gastgeber und Vorsitzender der Akademie Gegenwart bei dem Referenten, das Publikum spendete großen Beifall.


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